Was wir lesen 6 unterschiedliche Blicke auf das Thema Frieden

Autor/Autorin

  • Moritz Kalvelage
Verschiedene Buchcover vor einem Hintergund mit Silhoutten von Tulpen (Montage)
Bild: Montage Radio Bremen | Imago/Wirestock

In Zeiten, in denen Krieg medial omnipräsent ist, widmet sich die Buchmesse mit vielen Programmpunkten ebenso dem Krieg wie dem Frieden. Unser Bremen-Zwei-Autor Moritz Kalvelage versucht den Blick zu weiten sechs Bücher bieten unterschiedliche Zugänge zum Thema Frieden.

1 Jan Wagner – Steine & Erden

In "Steine & Erden" widmet sich Jan Wagner vermeintlichen Kleinigkeiten und zeigt, dass sich eine Auseinandersetzung immer wieder lohnt. Jan Wagner spielt – natürlich – mit lyrischen Verweisen und Traditionen: "Wespen" ist nicht nur eine Beschäftigung mit dem Treiben der Sechsbeiner, sondern auch als ein Gruß an Thomas Kling zu lesen. In den Werken des Wespen-Dichters Kling spielt Widerspenstigkeit eine große Rolle – bei Wagner zerfressen Wespen "überdeutlich" einen Gartenstuhl.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Jan Wagner: Steine und Erden, Hanser Verlag
Jan Wagner. Steine & Erde. Erschienen bei Hanser Berlin. 112 Seiten. 22 Euro. Bild: Hanser Verlag

Die Texte wirken in Teilen wie Weiterentwicklungen und Transformationen von bereits existierenden Themen. Nicht, um es "besser" zu machen, als andere Dichter:innen. Es geht nicht um Selbstbehauptungen im sonst umkämpften Literaturbetrieb, es sind Schulterschlüsse, um den kleinen Dingen Tiefe zu geben.

2 Khalil Gibran, Zeina Abirached – Der Prophet

Zwölf Jahre lang hat der Prophet Almustafa auf ein Schiff gewartet, das ihn zurück in seine Heimat bringen soll. Doch als er das Schiff in der Ferne sieht, überkommt ihn die Trauer: "Wie soll ich in Frieden und ohne Kummer gehen?" Doch nicht nur der Prophet selbst tut sich mit dem Abschied schwer, auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt sind traurig. Bevor Almustafa abreisen kann, fangen ihn die Menschen ab und befragen ihn nach seinen Wahrheiten. Der Prophet erzählt von der Liebe, der Freiheit und zum Schluss – wie sollte es anders sein – auch dem Abschied.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Khali Gibran, Zeina Abirached: Der Prophet, Avant Verlag
Khalil Gibran und Zeina Abirached. Der Prophet. Erschienen im avant Verlag. 368 Seiten. 30 Euro. Bild: Avant Verlag

Zum hundertjährigen Erscheinen von "Der Prophet" hat Zeina Abirached den Text in eine Bilderzählung überführt. Dabei hat die libanesisch-französische Comicautorin ein rundum beeindruckendes Werk abgeliefert. In der schwarzweißen Darstellung hat die Geschichte etwas Traumwandlerisches, was den poetischen Erzählton unterstreicht.

3 Dilek Güngör – A wie Ada

Das Türkischsein von Adas Eltern scheint ein Konflikt zu sein. Weniger für Ada selbst, als für die Menschen um sie herum: "Eine andere Mutter sagt, dein Vater sieht nicht aus wie ein Türke. Sie kann Ada nicht sagen, wie der Vater aussieht. Er sieht nicht aus wie ein Deutscher, er sieht nicht aus wie ein Türke. Ist der Vater Inder?", fragt jemand. Die Protagonistin ist zwar erwachsen, doch wie ihre Kindheitserinnerungen ist auch die Gegenwart geprägt vom Druck, dazuzugehören. Dass die Texte nicht chronologisch angeordnet sind, lässt dieses beklemmende Gefühl zeitlos werden.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Dilek Güngör: A wie Ada, Verbrecher Verlag
Dilek Güngör. A wie Ada. Erschienen im Verbrecher Verlag.112 Seiten. 20 Euro. Bild: Verbrecher Verlag

Die Texte in "A wie Ada" lassen trotz ihrer Kürze Tiefe zu. Kurz und schnell liefern die Miniaturen humorvolle und intime Momentaufnahmen, die das Bild einer Frau ergeben, die Anerkennungskämpfen ausgeliefert ist.  Niemandem dürfte das Gefühl unbekannt sein, dazugehören zu wollen, ohne sich völlig verbiegen zu müssen. Der Sound ist mal bissig, mal leicht, aber immer einfühlsam.

4 Lisa Weeda – Tanz, tanz, Revolution

Beim Krieg in Besulia kommen viele Menschen ums Leben – aber nicht alle von ihnen sind für immer tot. Mit einem absurd anmutenden Tanz lassen sich die Leichen wieder zum Leben erwecken. Wie praktisch, dass sich ein mysteriöses Wesen nach Kriegsende darum kümmert, die Toten in die Wohnungen der Lebenden zu ziehen. Könnte man meinen. Doch nicht alle Menschen können oder wollen den Tanz richtig tanzen. Für diesen Fall wurden kostspielige Leichen-Abhol-Services eingerichtet, die mitnehmen. Doch es gibt auch einige, die es schaffen, die "schlechten Toten" – so heißen die, die zu früh gestorben sind – wieder wach zu tanzen.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Lisa Weeda, Tanz, Tanz, Revolution, Kanon Verlag
Lisa Weeda. Tanz, tanz, Revolution. Erschienen im kanon Verlag. 176 Seiten. 22 Euro. Bild: Kanon

Diese Romanwelt ist voller mythologischer Fäden, die miteinander verwoben werden: Eine Dorfälteste, die den Fabeltanz weitergibt, mit dem Leichen zum Leben erweckt werden, ein Wesen, das durch den Totennebel wandert und die Wiedergeburt vorbereitet. Weil solche hoffnungsvollen Erzählungen in die Gegenwart geholt werden, entsteht der Eindruck, irgendwo könnte so etwas tatsächlich schon mal passiert sein.

5 Albert Ehrenstein – Räuber und Soldaten

Wu Sung verlässt früh das Haus seines Vaters, der von seinen Söhnen keine besonders hohe Meinung hat. Nach einem Wirtshausbesuch schlägt sich Wu Sung betrunken durch die Berge, wo er auf einen Tiger trifft. Wu Sung ist dem Tier ohne Waffen ausgeliefert, dennoch schafft er es, den Tiger zu erwürgen. Er wird bald darauf zum Offizier ernannt, geht gegen Kriminalität vor, wenn auch nicht nur mit hehren Mitten. Auf diesem Weg wird aus seinem Trinken ein rauschhafter Zustand. Dabei verwischen die Grenzen zwischen Wahrheit und Verklärung.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Albert Ehrenstein: Räuber und Soldaten, Friedenauer Presse
Albert Einstein. Räuber und Soldaten. Erschienen bei der Friedenauer Presse. 267 Seiten. 24 Euro. Bild: Friedenauer Presse

"Räuber und Soldaten" ist eine spannende Reise durch eine fremde Zeit, bei der keine Verschnaufpause eingelegt wird. Wu Sungs Gedanken und Handlungen sind irre und innerhalb seiner Regeln dennoch nachvollziehbar. Und auf seinem Weg, der von vielen guten Idealen und schlechten Umsetzungen gepflastert ist, findet er zu Ruhe. 

6 Dana von Suffrin – Nochmal von vorne

Rosas Vater stirbt an Krebs. Seine Wohnung muss nun aufgelöst werden. Das Leben des Vaters, über das er viel geschwiegen hat, wird für Rosa nun im wahrsten Sinne greifbar. Und seine Erinnerungen, sein Gedächtnis, tragen sich auch in den Erinnerungen der Familie fort. Nun steht die Ich-Erzählerin nicht nur vor der Aufgabe, die vielen Mosaikstücke aus dem Leben ihres Vaters zu verbinden, sie muss sich auch mit ihrer Schwester versöhnen. Dabei ist das deutsch-jüdische Familienleben alles andere als familiär, denn der Kontakt zur Schwester ist schon lange abgebrochen.

Warum sich das Lesen lohnt

Cover: Dana von Suffrin: Nochmal von vorne, Kiepenheuer & Witsch
Dana von Suffrin. Nochmal von vorne. Erschienen bei Kiepenheuer&Witsch. 240 Seiten. 23 Euro. Bild: Kiepenheuer & Witsch

Dana von Suffrin faltet eine Familiengeschichte auf, die nicht nur die komplexen Beziehungen der Figuren zueinander aufzeigt, sondern auch deren unterschiedliche Zugänge zu Geschichte und historischer Verantwortung vermittelt. Dabei erzählt sie so einfühlsam und schlau, dass es den Schrecken spürbar macht und gleichzeitig komisch auflöst.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 25. März 2024

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Die Nacht

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