Im Porträt Christian Muthspiels mutiger Weg von der Posaune zum Orjazztra Vienna

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Porträt von Christian Muthspiel
Christian Muthspiel Bild: Imago | Rudolf Gigler

Christian Muthspiel ist überzeugt: man muss eine Tür schließen, um eine andere öffnen zu können. Nachdem der Österreicher vier Jahrzehnte lang als Jazzposaunist und -pianist auf der ganzen Welt unterwegs war, überlässt er das Spielen nun Jüngeren. Am 12. Oktober 2023 kommt Muthspiel mit seinem eigens gegründeten Jazz-Orchester "Orjazztra Vienna" in den Sendesaal Bremen.

Porträt von Christian Muthspiel

Gesprächszeit Nach 40 Jahren Posaune hat er das Instrument nie wieder gespielt

Jazzposaunist und -pianist Christian Muthspiel war vier Jahrzehnte lang auf der ganzen Welt unterwegs. Dann hat er aufgehört und ein Jazz-Orchester gegründet.

Bild: Imago | Rudolf Gigler

Christian Muthspiel gehört zu den profiliertesten und umtriebigsten Musikern Österreichs. Er ist sowohl im Jazz als auch in der Klassik zuhause, komponiert, dirigiert und hat vor allem als Posaunist die Jazzszene geprägt. "Das eine war immer Inspiration für das andere", sagt er über sein Wechselspiel zwischen beiden Welten.

Schluss mit der Posaune: Eine große Befreiung

Christian Muthspiel ist aber auch ein Freund mutiger Entscheidungen. 2019 hat er Schlagzeilen geschrieben, als er seine geliebte Posaune für immer an den Nagel gehängt hat. Ganz ohne Wehmut, obwohl er sie auf Welt-Niveau gespielt hat: "Ich habe das als große Befreiung empfunden", sagt Muthspiel heute, der gespürt hatte, dass eine Epoche seines Lebens zu Ende geht. Mit diesem Schritt verschaffte er sich mehr Zeit für das Komponieren und fokussierte sich auf das Gefühl, sich auf einen neuen Lebensabschnitt einlassen zu wollen: "Ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, man muss eine Türe schließen bevor sich eine andere öffnet."

"Ave Verum Corpus" von Mozart ist die Familienhymne.

Christian Muthspiel über seine singende Familie

Musiker zu werden war für Christian Muthspiel nicht wirklich eine Entscheidung. Es hat sich natürlicherweise so ergeben, sagt er. Geboren ist er als Sohn eines Komponisten und Chorerziehers. Seine Geschwister und er sangen und spielten Blockflöte, bevor er mit sechs Jahren zuerst Klavier und mit elf Jahren Posaune lernte. Das Singen ist in der familiären DNA fest verankert: "Wenn wir einander jetzt zu Familienfesten treffen sind wir immer ein großer Chor. Wir haben ein ganzes Repertoire an Familienstücken und singen dann sehr viel und beschließen das immer mit dem "Ave Verum Corpus" von Mozart. Das ist sozusagen die Familienhymne."

Das war zuhause damals schon eine kleine Revolution, dass wir gesagt haben, wir wollen Jazz-Musiker werden.

Christian Muthspiel über seinen Bruder und ihren musikalischen Aufbruch zum Jazz

Bereits als 17-Jähriger spielte Christian Muthspiel in der Grazer Oper bevor er Schulter an Schulter mit seinem Bruder Wolfgang den Jazz als Alternative zur klassischen Musik und zur Volksmusik-Welt entdeckte. "Das war zuhause damals schon eine kleine Revolution, dass wir gesagt haben, wir wollen eigentlich Jazz-Musiker werden. Ich erinnere mich an sehr emotionale Diskussionen mit unserem Vater über Mozart und Miles Davies. Wer ist besser?“ Aus Graz und aus Österreich wollte Muthspiel in seinen jungen Jahren möglichst schnell weg und bemühte sich um ein Musik-Stipendium im kanadischen Banff: "Wo man Menschen begegnet, die in einer anderen Liga musizieren, um weiterzukommen und von dort zu lernen."

"Orjazztra Vienna": Junger Nachwuchs macht die Musik

Der Dirigent Christian Muthspiel während eines Konzerts
Dirigieren und Komponieren – darauf liegt heute Muthspiels Fokus. Bild: Nikola Milatovic/La Strada Graz

Das, was man einmal gut konnte, muss man nicht sein Leben lang machen. Davon ist Muthspiel überzeugt. Nachdem er sein letztes Konzert als Jazz-Posaunist gegeben hatte, hat er sich mit seinem "Orjazztra Vienna" eine neue Spielwiese geschaffen. Dafür hat er junge Musikerinnen und Musiker um sich geschart, denen er heute das Spielen überlässt. Er selbst dirigiert: "Ich glaube, es haben beide Seiten etwas von diesem Austausch. Ich bin immer ein großer Gegner davon gewesen, das Alter als zu wichtigen Parameter zu nehmen. Was mir immer auf die Nerven gegangen ist: Wenn die Älteren gesagt haben, das wär‘ jetzt nix mehr."

Wir haben keinen Unterschied zwischen Solo- und Tutti-Spielerinnen und -Spieler.

Christian Muthspiel über das "Orjazztra Vienna"

Das "Orjazztra Vienna" funktioniert dabei wie ein demokratisches Kollektiv. Das neue Album "La Melodia della Strada" widmet sich dem italienischen Film-Regisseur Federico Fellini. In 17 Stücken gibt es 17 Soli – jeder darf mal ran. "Wir haben keinen Unterschied zwischen Solo- und Tutti-Spielerinnen und -Spieler. Alle, die bei mir mitspielen, sind sowohl in der Gruppe als auch solistisch zu hören." Auch die Geschlechterverteilung ist viel paritätischer als in anderen Ensembles. Viele seiner männlichen Kollegen sehen über Musikerinnen viel zu oft hinweg, kritisiert der 61-Jährige: "Es ist passiert, weil ich die Frauen nicht ignoriert habe", so Muthspiel über die Zusammensetzung.

Die Posaune wartet auf ein junges Talent

Abstand zur Musik bekommt Christian Muthspiel beim Bergsteigen oder beim Malen. Beides ist ihm wichtig: "Als Musiker gestaltet man Zeit – und als Maler gestaltet man Raum." Nach dem letzten Konzert als Posaunist hat er seine Posaune noch einmal geputzt und dann nicht mehr angerührt. Er könnte sich vorstellen, sie irgendwann einmal weiterzureichen: "Ich warte auf Jemanden. Ich glaube, es wird mir jemand begegnen, ein junges Talent, der oder dem ich mein Instrument dann schenken werde."

Es kann ja sein, dass man einen Lebensabschnitt verbringen will, in dem man gar keine Musik macht. Das ist auch möglich.

Christian Muthspiel über das Aufhören im Leben

Und während er sich gerade Gedanken um die Tour mit seinem "Orjazztra Vienna" macht, an Wandertouren in Griechenland oder Schweden denkt, schließt Christian Muthspiel nicht aus, dass sich in seinem Leben irgendwann noch eine weitere Tür schließt und vielleicht wieder eine andere aufgeht: "Vielleicht wird es eine ganz andere Variante von Leben. Es kann ja sein, dass man einen Lebensabschnitt verbringen will, in dem man gar keine Musik macht. Das ist auch möglich. Ich habe jetzt überhaupt keine Pläne gemacht – aber das geistert auch in meinem Kopf herum. Ich habe es immer bedauert, dass ich bis jetzt nie Zeit gehabt habe, längere Zeit an einem Text zu schreiben. Vielleicht wird es auch mal eine Pause vom musikalischen Schaffen. Ein Sabbatical über 20 Jahre."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 6. Oktober 2023, 18:05 Uhr

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