Im Porträt Über Umwege wurde Amir Kassaei zum Star-Kreativdirektor

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Amir Kassaei sitzt auf einer Steinmauer
Wer wahrhaftig ist, landet am richtigen Platz: Amir Kassaei Bild: dpa | Sven Lambert

Amir Kassaei kämpfte als Kindersoldat in dem Konflikt seines Heimatlandes mit dem Irak, bevor er ganz allein über die Türkei nach Österreich floh. Als Erwachsener stieg er bis zum Kreativdirektor weltweit führender Werbeagenturen auf und betreute millionenschwere Werbeetats. Nach seinem Rückzug aus der Werbung 2020 hat er nun sein Comeback angekündigt.

Amir Kassaei sitzt auf einer Steinmauer

Gesprächszeit Wie aus dem Kindersoldaten Amir Kassaei ein Star-Werber wurde

Amir Kassaei hat als Kindersoldat im Iran gekämpft. Dann hat er eine unvergleichliche Karriere als Kreativdirektor weltweit führender Werbeagenturen hingelegt.

Bild: dpa | Sven Lambert

Amir Kassaei war 13 als er aus der Schule abgeholt wurde und das erste Mal eine Waffe in die Hand gedrückt bekam, um damit im Iran-Irak-Krieg zu kämpfen. Der Jugendliche wurde in eine Kaserne gebracht, wurde im Waffengebrauch geschult und musste ein körperliches Training für Infanteriesoldaten absolvieren. Dabei wusste er nicht einmal, welche Staatsform damals im Iran existierte: "Ich konnte es nicht nachvollziehen. Bis zum heutigen Tage nicht."

"Krieg wird immer Teil meines Lebens sein."

Amir Kassaei über das, was ihn geprägt hat

Die traumatischen Erfahrungen, die Amir Kassaei zwei Jahre lang an der Front gemacht hat, hat er in den vergangenen 40 Jahren zu einem großen Teil verarbeitet, zum Teil aber auch verdrängt. "Die kommen natürlich automatisch hoch. Krieg wird immer Teil meines Lebens sein, Teil meiner Seele sein", sagt der heute Mitte-50-Jährige.

Flucht über die Türkei nach Österreich

Mit 15 gelang ihm die Flucht aus dem Kindersoldaten-Leben – aus reinem Überlebensinstinkt. Über die Türkei kam er ganz allein nach Österreich, wo er ein neues Leben anfing, aber auch ganz alleine zurechtkommen musste. Düster, kalt und fremd – so erinnert er sich an das Land, dessen Sprache er innerhalb von wenigen Monaten lernte: "Die Gefühle waren eher von Angst, von Unsicherheit getrieben. Aber auch Erleichterung, weil man dem sicheren Tod entronnen ist."

Sprechen fällt mir extrem schwer. Schreiben kann ich gar nicht mehr.

Amir Kassaei hat seine Muttersprache schnell verdrängt

Kassaei suchte den Umgang mit Österreichern und mit der Sprache öffneten sich ihm Türen, während er seine Muttersprache bewusst verdrängte: "Bis zu einem gewissen Grad ist das auch ein Negieren seiner Ursprünge, ich habe das aber durchgezogen. Der Preis, den ich dafür gezahlt habe ist, dass ich die Muttersprache ein bisschen verstehe, aber das Sprechen fällt mir extrem schwer. Schreiben kann ich gar nicht mehr."

Immer besser werden war seine Motivation

Als jugendlicher Migrant Anfang der Achtziger in Österreich machte Kassaei auch seine ersten Erfahrungen mit Ablehnung und Rassismus. "Ich musste am Anfang den Schock überleben, dass man ein Mensch zweiter Klasse ist", erinnert er sich. Und merkte: "Um anzukommen, respektiert zu werden und Bestätigung zu erfahren, muss man sich mehr anstrengen als einer, der aus dem Land kommt."

Dass ich immer den Status Quo in Frage gestellt habe, dass ich keine Angst hatte, Sachen anzuprangern und zu kritisieren.

Amir Kassaei über sein Erfolgsrezept als Werber, das ihm den Titel "Enfant Terrible" einbrachte

Für Amir Kassaei war die Erkenntnis schmerzlich, aber gleichzeitig ein Ansporn. Es zog ihn in die Werbung, wo er mit Talent und Leidenschaft die unterschiedlichsten Dinge bewegen konnte. Er stieg bis zum Kreativdirektor weltweit führender Werbeagenturen auf und betreute millionenschwere Werbeetats für Marken wie Volkswagen, McDonalds oder Reebok. Für seine Kampagnen hat er zahlreiche Preise eingesammelt. Immer besser werden – das war stets sein Antrieb. Dass er während seiner Werbe-Zeit zeitweise als "Enfant terrible" bezeichnet wurde, bezeichnet er heute als Kompliment: "Weil es sagt, dass ich der Norm nicht entsprochen habe, dass ich immer den Status Quo in Frage gestellt habe, dass ich keine Angst hatte, Sachen anzuprangern und zu kritisieren."

Comeback vom Rückzug

Amir Kassaei hat sich in seinem Leben immer wieder neu justiert. 2020 hat er sich aus der Kreativwirtschaft zurückgezogen und selbst Unternehmen gegründet. "Wenn man sich selber treu ist, wenn man wahrhaftig ist, landet man immer automatisch am richtigen Platz", ist er überzeugt. "Daran glaube ich zu tausend Prozent. Dass man keinen Sinn finden muss, dass man nicht alles planen kann, dass man auch nicht einen Weg beschreitet. Sondern der Weg ergibt sich aus einem selber." Und so passt es auch ins Bild, dass der 56-Jährige gerade sein Comeback als Chef-Werber bei der US-Werbeholding Omnicom angekündigt hat, um seinen alten Kunden Volkswagen zu betreuen.

Die Umwege gehören dazu

Je älter wird, desto größer wird seine Sehnsucht, seine iranische Seite, die er Jahrzehnte beiseite geschoben hat, wieder besser kennen zu lernen. Wohlwissend, dass er das Land nicht mehr betreten darf während seine Eltern immer älter werden. Als er seine Lebensgeschichte in seinem Buch "Vom Unsinn des Lebens" aufgeschrieben hat, sind viele Wunden aufgerissen, sagt Amir Kassaei. Das Schreiben des Buches sei ein therapeutischer Prozess gewesen, der durch die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten wieder befeuert wird. Doch er weiß auch: Die Schattenseiten, die Umwege, die er gegangen ist, die Fehler, die er gemacht hat, gehören zu seinem Leben dazu. 

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 19. Juni 2024, 18:05 Uhr

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