Im Porträt Janita-Marja Juvonen war 14 Jahre lang obdachlos

Autorinnen und Autoren

Janita-Marja Juvonen
Janita-Marja Juvonen hat selbst auf der Straße gelebt. Heute klärt sie unter anderem in Schulen über Obdachlosigkeit auf. Bild: Radio Bremen | Katharina Guleikoff

Als sie auf der Straße landete, war Janita-Marja Juvonen noch ein Teenager. 14 Jahre war sie ohne Wohnung und wurde drogenabhängig. Inzwischen ist sie 45, hat eine Wohnung und ein Buch geschrieben. Mit "Die Anderen – die harte Realität der Obdachlosigkeit" will sie aufklären. Jeden kann es treffen, davon ist sie überzeugt.

Janita-Marja Juvonen
Janita-Marja Juvonen

Gesprächszeit Janita-Marja Juvonen war 14 Jahre obdachlos

Als sie auf der Straße landete, war Janita-Marja Juvonen noch ein Teenager. Nun hat sie ein Buch über das Leben auf der Straße geschrieben.

Bild: Radio Bremen | Katharina Guleikoff

Mit 16 prophezeite man ihr, dass sie ihren 18. Geburtstag nicht erleben würde. Inzwischen ist Janita-Marja Juvonen 45 und lebt wieder in einer Wohnung. Ihr Buch heißt "Die Anderen" und darin zeigt sie die "harte Realität der Obdachlosigkeit". Sie sagt: "Jeder war in seinem Leben schon mal 'die Anderen'. Zum Beispiel gebe es diejenigen, die Depressionen hatten oder eben diejenigen, die obdachlos sind – also alle, die man selber nicht ist.

Auch wenn ihr Buch von Juvonens Erlebnissen geprägt ist, ist es keine Autobiografie. Juvonen hat sich bewusst dagegen entschieden, um nicht den Anschein zu erwecken, dass nur Menschen mit besonderen Geschichten auf der Straße landen: "Ich kenne viele, die ein normales Leben hatten und nicht darüber erzählen, weil sie sich schämen", sagt sie. Ihr geht es nicht darum, darüber zu sprechen, wie man auf der Straße gelandet ist, sondern wie es dort ist. Und das weiß die 45-Jährige genau.

Obdachlosigkeit kann jeden treffen

Obdachlosigkeit beschreibt Janita-Marja Juvonen als Fulltime-Job. Ständig muss nach Wegen gesucht werden, um grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen. Der Zugang zu Trinkwasser ist beschränkt, Nahrungsmittel nicht immer verfügbar oder verdorben oder es ist zu viel vom Falschen da. Durch zu wenige öffentliche Toiletten werden selbst grundlegende Hygienemaßnahmen zum Problem, besonders während der Menstruation.

Treffen kann es so gut wie jeden, sagt Janita-Marja Juvonen. Die Gründe sind vielseitig. So gebe es Frauen, die aus gewalttätigen Beziehungen fliehen und keinen Platz im Frauenhaus finden. Andere verlieren aufgrund von Krankheit, Jobverlust, Todesfällen, Trennung oder einer Kündigung ihr Zuhause.

Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass sie wohnungslos sind.

Janita-Marja Juvonen über den kurzen Weg in die Obdachlosigkeit

Manche kommen bei Freunden oder der Familie unter, haben aber keinen Mietvertrag – und gelten damit als wohnungslos. "Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass sie wohnungslos sind", berichtet Juvonen. Der Weg von dort in die Obdachlosigkeit ist kurz und die Rückkehr ins normale Leben schwer. Ohne postalische Meldeadresse hat man zum Beispiel kaum eine Chance, eine Wohnung oder einen Job zu bekommen.

Wohnungen bekommst du beim Jobcenter nicht. Dafür sind die gar nicht zuständig.

Janita-Marja Juvonen über weit verbreitete Missverständnisse

Janita-Marja Juvonen beobachtet, dass das Problem der Wohnungslosigkeit in der Mittelschicht ankommt. Viele Menschen seien unvorsichtig. Oft glauben sie, ihnen könne das nicht passieren. Hinzu komme die Überzeugung, dass das System einen schon auffangen werde. "Ich bin in Schulen unterwegs, wo gefragt wird: 'Warum bist du nicht zum Amt gegangen?'", erzählt sie. Beim Jobcenter bekäme man eine Wohnung, Job und Arbeit, denken viele. "Das glauben sie wirklich, aber das stimmt überhaupt nicht. Wohnungen bekommst du beim Jobcenter nicht. Dafür sind die gar nicht zuständig", weiß Juvonen. Außerdem gebe es viel zu wenige Sozialwohnungen und auch Notunterkünfte seien nicht für jeden eine Alternative. Denn viele sind nicht barrierefrei, Hunde sind oft verboten und es gibt zu wenig reine Frauenunterkünfte .

Nach der Straße hörten die Probleme nicht auf

Doch auch wenn alle Hürden zur eigenen Wohnung genommen sind, wird es nicht unbedingt einfacher. "Ich habe erst vier Jahre lang in meiner Wohnung gesessen und war total isoliert", erinnert sich Janita-Marja Juvonen. Sie entwickelte eine Essstörung und kämpfte mit Depressionen, obwohl man sich auf der Straße erzählte, dass mit einer Wohnung alles gut werde.

Ich hatte keine Menschen mehr. Wenn man die Straße verlässt, verlässt man auch das Umfeld.

Janita-Marja Juvonen über den schwierigen Start nach der Wohnungslosigkeit

Daran glaubte auch sie. Das Problem: Das Leben ändert sich schlagartig und alles passiert gleichzeitig. Plötzlich hat man nicht mehr ständig Menschen um sich herum, ist nicht permanent Lärm und Licht ausgesetzt. Durch das Verlassen ihres Umfelds hatte Juvonen zudem ihre Bezugspersonen verloren. "Ich hatte keine Menschen mehr. Wenn man die Straße verlässt, verlässt man auch das Umfeld. Es ist klar, dass es dann nicht mehr passt. Man ist in unterschiedlichen Welten". Beim Versuch, neue Kontakte zu knüpfen stand ihr ihre Biografie im Weg. War sie ehrlich, wendeten sich die Menschen ab. Einige rieten ihr, zu lügen. Den gleichen Tipp bekam sie beim Thema Lebenslauf, da sie mit ihrer Straßenbiografie keinen Job fand.

Obdachlose nach ihre Bedürfnissen fragen

Alleine in ihrer Wohnung musste sich Juvonen dann mit ihren Traumata auseinandersetzen. Von diesen hat sie viele davongetragen: Sie wurde beleidigt, angegriffen, vertrieben, saß für das Schwarzfahren in Haft und wurde sogar einmal angezündet. Um diesen täglichen Kampf zu ertragen, begann Juvonen während ihrer Obdachlosigkeit Drogen zu nehmen. Inzwischen ist sie clean, macht aber darauf aufmerksam, dass Drogen für viele Obdachlose zum Leben gehören. Man könne dies auch nicht unterbinden, indem man Wohnungslosen kein Geld gibt.

Wir müssen anfangen, den Anderen zuzuhören, um ihre Lebensrealität kennenzulernen.

Janita-Marja Juvonen fordert dazu auf, miteinander zu reden

Vielmehr wird Bares für vieles gebraucht, zum Beispiel fürs WC oder fürs Handy. Ein Brötchen oder einen Kaffee auszugeben findet die 45-Jährige zwar gut gemeint, aber nicht immer zielführend. "Vielleicht hatten 30 andere davor schon die gleiche Idee". Sie rät dazu, die Menschen nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Grundsätzlich findet sie, dass es wichtig ist, mehr miteinander zu reden. "Wir urteilen sehr viel und sind der Meinung, dass wir das Leben des anderen kennen, dabei leben wir in dieser Lebensrealität gar nicht." Das führe dazu, dass zum Thema Obdachlosigkeit viele Missverständnisse aus Vorurteilen und Schubladendenken entstehen. "Wir müssen anfangen endlich den anderen zuzuhören. Um ihre Lebensrealität kennenzulernen, damit wir nicht nur glauben zu wissen, was dort abgeht."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 27.Dezember 2024, 18:05 Uhr

Bremen Zwei Livestream & aktuelle Sendung.

Der Nachmittag mit Jörn Albrecht

Der Nachmittag

Jetzt läuft:

Blackmore's Night Christmas Eve
  • Jetzt läuft:

    Blackmore's Night Christmas Eve