Im Porträt Behinderung: Für Raúl Krauthausen ein Merkmal – kein Makel

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Aktivist Raul Krauthausen von der Organisation "Sozialhelden"
Raúl Krauthausen kam mit Glasknochen und 19 Knochenbrüchen auf die Welt. Bild: dpa | photothek/Thomas Imo

Raúl Krauthausen ist Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit. Jetzt hat er sein zweites Buch geschrieben: "Wer Inklusion will, findet Wege. Wer sie nicht will, findet Ausreden." Eins ist jedenfalls klar: Raúl Krauthausen hat viele Wege gefunden, seine Mission einer barrierefreien Gesellschaft in die Welt zu tragen. Er tut das vehement, eloquent und mit viel Witz und Selbstironie. Dabei wollte er nie "Berufsbehinderter" werden.

Aktivist Raul Krauthausen von der Organisation "Sozialhelden"

Gesprächszeit "Ich genieße das Leben wie jeder andere" – Raúl Krauthausen

Vehement, eloquent und mit viel Witz setzt sich Raúl Krauthausen für Inklusion und Barrierefreiheit ein. Dabei wollte er nie "Berufsbehinderter" werden.

Bild: dpa | photothek/Thomas Imo

Für das Gespräch mit Bremen Zwei ist Raúl Krauthausen quer durch Berlin gefahren. Ins ARD-Hauptstadtstudio kam er mit Bus und Bahn. Auf die Frage, wie oft er sich ärgere, weil beispielsweise Rampen fehlen, entgegnet er: "Es müsste eher heißen, wie oft ich mich nicht ärgere." Für ihn sind Barrieren strukturell bedingt. Das geht soweit, dass ihm eine Bahnmitarbeiterin schon mal die Mitfahrt verweigern wollte, weil er den Rollstuhl nicht angemeldet hatte. Was auch nicht nötig ist. Dass er sie immer wieder neu durchsetzen muss, ärgert ihn.

Behinderte Menschen wollen selber sagen, was ihre Probleme sind – werden aber kaum gefragt.

Raúl Krauthausen, der sich für echte Inklusion stark macht

Erst als er anfing, Werbung zu studieren, wurde ihm bewusst, wie viele Hürden es für behinderte Menschen gibt. Seine Abschlussarbeit schrieb er darüber, wie Medien mit behinderten Menschen umgehen: "Behinderte Menschen kommen in den Medien kaum vor", sagt er. Über sie würde nur an bestimmten Tagen berichtet, etwa am "Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung" oder bei den Paralympics. Zudem würden ihre Bedürfnisse auch noch von anderen formuliert – so wie von der "Aktion Mensch". Aber Raúl Krauthausen findet: "Behinderte Menschen wollen selber sagen, was ihre Probleme sind, werden aber kaum gefragt."

Glücksfall integrativer Kindergarten

Raúl Aguayo-Krauthausen kam 1980 in Peru mit Glasknochen und 19 Knochenbrüchen auf die Welt. Die Ärzte hatten seinen Eltern kaum Hoffnung gemacht: Zwei Tage, sagten sie, würde er überleben. Seine Eltern zogen nach einem Jahr nach Berlin. "Das war ein Glücksfall", sagt Raúl Krauthausen, denn dort konnte er einen der ersten integrativen Kindergärten besuchen. Die Idee dahinter war, dass die gesamte Gruppe auch auf der Grundschule sowie den weiterführenden Schulen in einer gemeinsamen Klasse unterrichtet wird. Das hat dazu geführt, dass es der heutige Aktivist nie als ungewöhnlich empfunden hat, behindert zu sein.

Meine Eltern waren sehr skeptisch, wenn ich mich für Medien interessierte. Weil sie Angst hatten, ich würde instrumentalisiert werden.

Sagt Raúl Krauthausen, der die Medien für seine Sache zu nutzen weiß. 

Sein Interesse für Medien wurde durch Roger Willemsen geweckt. Mit 16 war Raúl Krauthausen zu Gast bei "Willemsens Woche" und wurde dort als Synchronsprecher entdeckt. "Meine Eltern waren sehr skeptisch, wenn ich mich für Medien interessierte. Weil sie Angst hatten, dass ich instrumentalisiert werde." Doch Raúl Krauthausen ging seinen Weg und machte unter anderem ein Praktikum in der Aufnahmeleitung bei Radio Fritz in Berlin. Dort telefonierte er viel mit Hörerinnen und Hörern, was ihn anschließend dazu animierte, eine professionelle Seelsorger-Ausbildung zu machen. Heute kann er gut zuhören – und das ist für seine Arbeit sehr wichtig.   

Behindertsein ist ein Merkmal – kein Makel

Der Aktivist setzt sich dafür ein, dass eine Behinderung als Merkmal angesehen wird, genau wie die Haar- oder Augenfarbe. Dann würden behinderte Menschen nicht mehr am Rande der Gesellschaft, in Behindertenwerkstätten oder Wohnheimen leben müssen. Während in den USA seit den 1980er Jahren ein Gesetz vorschreibt, dass alle öffentlichen Gebäude barrierefrei gebaut werden müssen, hinke Deutschland hier weit hinterher.

Es ist nicht so, dass ich morgens traurig aufwache und abends traurig ins Bett gehe.

Raúl Krauthausen will einfach ein normales Leben führen

Die Inklusion, so Krauthausen, sei eher eine Integration, die behinderte Menschen tagtäglich leisten müssten. Echte "Inklusion aber wäre ein System, in dem alle Menschen gleichberechtigt zusammenleben können", so Krauthausen. "Es ist ja auch nicht so, dass ich den ganzen Tag an meine Behinderung denke oder morgens traurig aufwache und abends traurig ins Bett gehe. Sondern im Gegenteil: Ich genieße das Leben wie jeder andere Mensch auch."

Für rollstuhlgerechte Orte und mehr Normalität

Daher verstehe er auch nicht, dass behinderte Menschen oft mit Leid in Verbindung gebracht würden oder es viele dieser Geschichten gebe, wie sich ein behinderter Mensch zurück ins Leben kämpft. Für mehr Normalität setzt sich Raúl Krauthausen mit seinem Verein "Sozialhelden" ein. Dort entstand auch Wheelmap.org, eine Plattform für rollstuhlgerechte Orte. Auf "Leidmedien.de" sensibilisiert der Verein Journalistinnen und Journalisten für den Umgang mit behinderten Menschen. Für sein Engagement hat der Verein schon zahlreiche Preise bekommen.

Auch privat hat Raúl Krauthausen sein Glück gefunden. Zwar hat er mal gesagt, dass für ihn eine nichtbehinderte Partnerin der Jackpot wäre, doch heute weiß er, wie viel mehr ihn mit seiner behinderten Frau verbindet. "Ich habe viele Fehler gemacht auf meinem Weg", resümiert der Aktivist, der eigentlich nie ein "Berufsbehinderter" werden wollte.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 15. Mai 2023, 18:05 Uhr

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