Die Morgenandacht Die Seele erleichtern

Frank Mühring

Die Morgenandacht Die Seele erleichtern

Wer im Hospiz ist, hat nicht mehr viel Lebenszeit. Manche nutzen den Aufenthalt, um letzte Dinge zu erledigen. Oder um die Seele zu erleichtern und sich mit Menschen zu versöhnen, mit denen man lange im Streit lag.

Bild: Radio Bremen

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Wer im Hospiz ist, hat nicht mehr viel Lebenszeit. Manche nutzen den Aufenthalt, um letzte Dinge zu erledigen. Oder um die Seele zu erleichtern und sich mit Menschen zu versöhnen, mit denen man lange im Streit lag.

"Herein, herein! Das ist aber schön, dass Sie mich besuchen". Herr G. hat mich eingeladen. Er spricht klar und deutlich, obwohl er eine Sauerstoffmaske trägt. Herr G. liegt in einem Bett im Hospiz. Herr G. weiß schon lange, dass er nicht mehr viele Tage zu leben hat. Alle aus seiner Familie wissen Bescheid. Dennoch hat Herr G.in der ihm verbleibenden Zeit eine Menge vor. Das alte Segelboot, mit dem er nicht mehr auf der Weser fahren kann, will er verkaufen. Seinen besten Freund aus der Schulzeit will er noch einmal wiedersehen. Die Enkel werden alle am Wochenende kommen. Seiner Frau erklärt Herr G. fast jeden Tag, dass sie das Glück seines Lebens ist. Früher hat er ihr das nie gesagt. Hier im Hospiz sagt er es ihr immer wieder. 

Mit mir will er über etwas sprechen, was seine Seele belastet. Es geht um seinen Bruder. Seit Jahren haben beide keinen Kontakt mehr. Ein Erbstreit hat sie entzweit. Ein böses Wort gab das andere. Herr G. sagt: "Wissen Sie, ich habe Angst. Wenn ich mich jetzt bei ihm melde, wird er vielleicht sagen: Nun brauchst du auch nicht mehr zu kommen." Ich sage leise zu ihm: "Ich glaube, es würde ihnen helfen, wenn sie die Last von ihrer Seele hätten." Darauf drückt mir Herr G. stumm meine Hand. Er bittet mich, den Kontakt zu seinem Bruder herzustellen.

Drei Wochen später ist Herr G. gestorben. Erlöst sah er aus in der letzten Stunde. Nachdem ich seinen Bruder telefonisch über die Situation aufgeklärt hatte, ist dieser tatsächlich sofort ins Hospiz gekommen. Die beiden alt gewordenen Männer sollen stundenlang miteinander geredet haben. Am Ende haben sie sich lange umarmt. Der Tod gibt den Dingen des Lebens eine besondere Bedeutung. Alles, was wir in seiner Nähe tun oder lassen, ist wichtig. Der Tod ist eine Chance, die eigene Seele leichter machen. Damit es für uns nicht so schwer ist, über die Schwelle in die andere Welt zu gehen.

Herr G. ist versöhnt gegangen. Er hat vor seinem Tod seine Seele erleichtert. Das tat ihm gut und seinem Bruder auch. Die Seele ist etwas Zartes. Sie will gut und sorgfältig gepflegt werden. Ich denke dabei an ein Wort aus den Psalmen: "Gott, du kennst die Not meiner Seele. … Du stellst meine Füße auf weiten Raum" (Psalm 31,8).

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  • Frank Mühring

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