Die Morgenandacht Ich zeige mich auf nackten Sohlen

Claudia Rolke
Claudia Rolke

Die Morgenandacht Ich zeige mich auf nackten Sohlen

In den Pflegeheimen der Caritas trifft Claudia Rolke viele Menschen mit Demenz. Sie empfindet die Begegnung mit ihnen auch immer wie eine Begegnung mit Gott.

Bild: Katholischer Gemeindeverband Bremen

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In den Pflegeheimen der Caritas trifft Claudia Rolke viele Menschen mit Demenz. Sie empfindet die Begegnung mit ihnen auch immer wie eine Begegnung mit Gott.

"Ich habe Demenz und bitte dich: Vergiss mich nicht." So beginnt ein Gedicht von Karin Platje; sie ist Demenztrainerin und hat das Gedicht aus der Sicht einer Betroffenen geschrieben. Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich als Seelsorgerin in den Altenpflegeheimen der Caritas Bremen. Dort treffe ich viele Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Sie haben im Heim ihr letztes Zuhause gefunden. Der Alltag mit an Demenz Erkrankten ist für Pflegende und Angehörige herausfordernd. Aber ich finde, sie haben aufgrund ihrer Erkrankung auch etwas Faszinierendes. Zwar lässt die Leistung, zu denken, zu sprechen und sich anzupassen nach. Aber es steigt die Fähigkeit, Stimmungen und Schwingungen in Gruppen aufzunehmen und für Emotionen empfänglich zu sein.

Ich denke an einen Herrn, der nicht mehr sprechen kann, aber alle Kirchenlieder mitsingt. An eine Dame, die nicht weiß, wo ihr Zimmer ist, mich aber auch nach Wochen noch mit Claudine anspricht. Ein Mann, der den ganzen Tag über unterwegs ist, aber beim Gebet still neben mir sitzen bleibt. Für mich ist die Begegnung mit Menschen mit Demenz auch immer eine Begegnung mit Gott. Sie erinnert mich an die Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Mose ist irritiert von diesem brennenden Strauch in der Wüste, und will sich diese außergewöhnliche Erscheinung anschauen.

Noch im Gehen hört er eine Stimme, die ihn beim Namen ruft und sagt: "Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden." (Ex 3, 5) An einem brennenden Dornbusch die Schuhe abzulegen und keinen Schutz an den Füßen zu haben, das ist ja mal ein gewagtes Unterfangen. Es ist aber so, dass, wenn ich barfuß bin, mich vorsichtiger bewege als mit Schuhen. Ich setze meine Schritte mit Bedacht und spüre deutlich den Untergrund. Eine demente Person ist für mich heiliger Boden. Wenn ich ihr begegnen möchte, dann sollte ich ihr nicht in meiner Überlegenheit begegnen, sondern ich zeige mich ihr gegenüber in meiner Verletzlichkeit, sozusagen barfuß auf meinen nackten Sohlen.

Das gelingt nicht immer, gebe ich zu. Aber wenn es gelingt, dann darf ich hinter der Demenz einer Person begegnen, die in ihrer ganzen Schönheit zu strahlen beginnt. Nur für heute werde ich für einen Augenblick meine Schuhe ablegen und meine Verletzlichkeit spüren.

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